Nach neun Monaten Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalt kehrte ich nach Hause zurück und all meine Erinnerungen der vergangenen Monate verschwanden. Ich fühlte mich total allein gelassen mit meiner Behinderung. Die Medizin hatte das Möglichste getan, um mir wieder auf die Beine zu helfen. Danach musste ich meinen eigenen Weg finden, das Leben weiterzuführen. Die linke Seite meines Körpers war noch immer gelähmt und ich konnte nicht sprechen. Ich fühlte, als ob mir jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen hätte, bevor mein Leben erst richtig begonnen hatte. Was könnte ich noch von meinem Leben erwarten?
Als ich über mich selbst als ein Individuum nachdachte, schien es egal zu sein, ob ich mir jetzt gleich eine Schlinge um den Hals binden würde, so wie meine Mutter es vor zehn Jahren getan hatte, oder ob ich meine letzte Reise an den Meeresstrand machen würde, der nur einen Steinwurf von zu Hause entfernt war. Entgegen meinen Gedanken fühlte ich mich, dass ich als Individuum ein Unikat war: niemand anderer hatte exakt meine Erfahrungen und andere Menschen kombinierten diverse Dinge nicht exakt auf meine Weise. Niemand anderer fühlt die Welt in exakt der gleicher Weise, so wie ich es tue. Es schien, dass ich als Individuum nur in Beziehung zu meiner Wohngemeinschaft bedeutend war. Ich dachte, dass trotz der Unglücklichkeit meiner Erfahrungen, sie mir dienen und Baumaterial für mein Leben sein sollten, das ich auch mit anderen teilen konnte.
Ich kehrte in meinen Gedanken zu jener Energiequelle zurück, bei der die Entwicklung unserer Welt offenbar begann. Über Millionen von Jahren, über Jahrtausende und Jahrhunderte entwickelte sich die Welt durch Versuch und Irrtum. Sie ging durch verschiedene Phasen des Chaos und der Harmonie und von Zeit zu Zeit geriet sie immer wieder ins Chaos. Aber die gute vorantreibende Kraft des Lebens, die die Fortsetzung der Entwicklung aufrecht erhielt, überlebte. Unterschied sich das Chaos, das ich durchgehen musste von jenem der natürlichen Entwicklung der Welt? War ich nicht eher ein Teil der fortsetzenden Entwicklung? Eine Art von „Irrtum“ hatte mein Leben in eine unkalkulierbare Richtung gedreht und meine Aufgabe bestand darin, einen Weg zu finden, um ein Gleichgewicht wieder herzustellen. Ich sollte mich nicht nach den Beeinträchtigungen richten, die meine Behinderung verursachte. Ich musste mich auf Dinge konzentrieren, in denen ich gut war, und die mein Gleichgewicht verbesserten.
Ein Kind entwickelt sich durch seinen eigenen Enthusiasmus, aber auch weil die Umgebung ihm konstant neue Herausforderungen stellt. Ich musste die Herausforderungen finden, die mein Leben weiter bringen würden. Ich glaubte, dass was auch immer ich brauchte, schon in der jeweiligen Situation vorhanden war. Ich musste nur meine Augen offen halten und mutig die Möglichkeiten ergreifen, die ich erhielt. Im Großen und Ganzen hatte ich eine genauso große Chance Erfolg im Leben zu haben, wie jeder andere auch. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen ist, dass sie ihre eigenen Stärken gefunden haben. Nur ein einzelnes Talent kann schon zu Erfolg führen. Deshalb war die Grundvoraussetzung für meinen Erfolg, dass ich meine Stärken fand.
Mir war bewusst, dass ich nur durch die Vorurteile der Menschen abgelehnt werden könnte, egal wie gut ich war. Es war eine Tatsache, mit der ich ganz einfach zurechtkommen musste. Ich dachte, dass ich durch eine einzige Sache meine eigene Position verbessern konnte: ich musste gerecht zu anderen Menschen sein. Nur dadurch, dass ich fair zu anderen Menschen war, konnte ich rein theoretisch erwarten, dass sie auch zu mir fair waren.
Falls jemand aus irgendeinem Grund mich ablehnte, sollte ich meine Energie nicht verschwenden, indem ich versuchte, ihn mit Worten zu überreden. Falls ich Menschen mit meinen Handlungen nicht überzeugen konnte, war ich einfach nicht überzeugend genug. Ich sollte nicht einmal versuchen, Menschen bei strittigen Diskussionen zu überzeugen. Ich glaubte, dass ich genug Möglichkeiten bekam, um mich selbst zu verwirklichen.
Als ich behindert wurde, war ich in einer Situation, die von mir eine totale Änderung meiner Denkweise verlangte. Es war früher meine Ehre, dass ich mich gut benahm, und dass ich alles tat, was die Menschen von mir erwarteten, ohne Wenn und Aber. Oder eher: Ich hatte all das gemacht, von dem ich [highlight type=“light“]glaubte[/highlight], dass es die Menschen von mir erwarteten. Ich hatte mehr in einer Art imaginären Welt und Illusion gelebt als in der Realität. Ich konnte nicht einmal richtig wissen, was die Menschen von mir erwarteten.
Früher habe ich jegliche Auseinandersetzung oder Konflikt vermieden, aber war die Vermeidung der Konflikte ein Wert an sich? Verlangt es nicht mehr Mut und Stärke von einer Person, die ihre eigene Meinung unabhängig formt, und die sie auch verteidigt und bei ihr bleibt, auch wenn sie stark unter Druck gesetzt wird? Ist nicht die Fähigkeit des individuellen Denkens die Basis meiner eigenen Individualität?
Als es mir nicht möglich war zu sprechen und ich schwer behindert war, schien es, dass niemand anderer außer mir Erwartungen für meine Zukunft hatte. Meine Zukunft lag wortwörtlich komplett in meinen eigenen Händen. Meine Situation unterschied sich völlig von jener Situation anderer Menschen, die ich kannte. So konnte ich nicht mehr nach Handlungsmodellen in meiner Umgebung suchen. Ich wusste, dass wenn ich mich überhaupt entwickeln wollte, musste ich mich nach meinen Bedürfnissen richten und mein eigenes Hirn einschalten.
Bevor ich den Schlaganfall erlitt, ging ich 14 Jahre zur Schule, aber die Schule hatte mir kaum Verständnis über Lebenskräfte vermittelt. Geschweige denn, dass die Schule mir Wissen vermittelt hätte, mit dem ich einigermaßen für Situationen vorbereitet gewesen wäre, denen ich mich stellen musste, als ich behindert wurde. Wenn ich jetzt nach über 30 Jahren an meine damalige Situation denke, fühle ich, dass ich zu jener Zeit alles hatte, was ich brauchte, um mich meinen neuen Herausforderungen zu stellen: die Gedanken, die ich oben beschrieben habe, sind genau die gleichen, die ich 1979 hatte, als ich vom Rehabilitationszentrum wieder nach Hause kam. Trotz des Chaos in meinem Kopf, war ich absolut fähig wichtige Entscheidungen meines Lebens zu treffen, die zu meinem Erfolg führten. Und man brauchte lediglich drei Dinge: Bedürfnisse erkennen, Augen offen halten und dem eigenen Urteilsvermögen vertrauen.
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Burkard’s Wake-Up Call