awakening

Als ich aus dem Koma Anfang 1979 aufgewacht bin, hatte ich das Gefühl, dass eine Art von Wunder mir geschehen war. Mein Kopf sagt mir, dass es solche Wunder eigentlich nicht gibt. Ich dachte, dass das Universum kaum gegen seine eigenen Naturgesetze arbeitet. Ein Wunder war meiner Meinung nach ein plötzliches Ereignis, bei dem Dinge sich zusammenfügen.

Gewöhnlich haben Wunder positive Effekte, meine Krankheit war der negative Pol eines Wunders. Ich hatte eine schwache Erinnerung von Worten von Richard Bach, die ich im Herbst vor meiner Erkrankung in seinem Buch Illusionen gelesen hatte.

In einem jeden von uns wohnt die Macht, sich für ein gesundes oder ein sieches, ein reiches oder ein armes, ein Leben in Freiheit oder Sklaverei zu entscheiden.
Wir selbst sind es, die darüber bestimmen – und niemand sonst.
Richard Bach


Die erste Person, die ich nach meinem Aufwachen sehen wollte, war mein Freund. Mit ihm hatte ich meine erste Liebesbeziehung. Wir hatten eine nette Zeit miteinander, aber da war keine tiefere, mentale Verbindung zwischen uns. Ich fühlte, dass ich nicht auf ihn zählen konnte, wenn ich ihn wirklich brauchte. Trotzdem befand ich mich bald in seinem Bett.

Einerseits war er ein wunderbarer Liebhaber und ich genoss die Zeit mit ihm. Andererseits machte ich mir den Vorwurf: „Bin ich komplett ohnmächtig? Ich will einfach jedem gefällig sein und die Dinge passieren mir so, als ob ich keine Macht über sie hätte und als ob ich nicht selbst entscheiden könnte, wo mich mein Weg hinführte.“
Woche für Woche wurde unsere physische Verbindung stärker, aber ich fühlte, dass wir mental auf verschiedenen Wellenlängen waren. Je stärker unsere physische Verbindung wurde, desto deutlicher sah ich, dass wir keine eigentliche mentale Verbindung hatten. Als ich an meine bevorstehenden Prüfungen dachte, wusste ich, dass ich unsere Beziehung beenden musste.

An einem Abend, als mein Freund mich anrief, begann ich über diese Sache zu reden. Er war geschockt. „Auf keinen Fall! Du kannst mich nicht verlassen! Du…“ Er brach in Tränen aus. „Was soll das! Macht er Scherze mit mir?“ dachte ich. „Du hast nur Spass mit mir gehabt!“ beschuldigte er. „Sagte er das zu mir?“ wunderte ich mich. Er versicherte mir seine Liebe und ich sagte, dass ich an meine Prüfungen denken musste, die ich Anfang des kommenden Jahres machen sollte. Er beruhigte sich und wir einigten uns darauf, dass wir erst nach den Prüfungen weitersehen würden.

Zwei Wochen vergingen, und meine Beine trugen mich wieder zu ihm. Er war überrascht und entzückt, aber ich war wütend über mich selber. Ich fühlte, dass ich komplett die Kontrolle über mich selbst verloren hatte. Seit dem Tod meiner Mutter, gab es nichts Wichtigeres für mich, als das Gefühl, dass ich selbst darüber entscheiden konnte, was ich machte. Ich selbst wollte mein Leben steuern. Und jetzt trieb mich eine unsichtbare Kraft, genau so wie sie es wollte. Ich war komplett ratlos. Ich stand total neuen Herausforderungen gegenüber. Das Problem war nicht mein Freund, sondern ich.

Kurz bevor ich mein Bewusstsein das erste Mal verlor, fühlte ich mich sehr entspannt und glücklich. Ich hatte eine Art von Übereinkommen mit mir selbst gemacht: Ich dachte, dass was auch immer uns geschieht, es ist für unser Wohl. Aber ich fühlte noch immer, dass ich mein Leben in eine Sackgasse geführt hatte.

Als ich im Krankenhaus lag, fragte ich mich, warum mein Freund mir so wichtig geworden war, obwohl ich ihn verlassen wollte. Er besuchte mich täglich, aber mit der Zeit wurden seine Besuche weniger. Ich konnte keine richtige Verbindung mit ihm bekommen. Ich fragte mich, warum er mich jetzt komplett abwies, obwohl er nun eine wirkliche Gelegenheit hätte, mir zu zeigen, wie sehr er mich liebte.

Ich habe das Buch von Richard Bach – Illusionen – nicht mehr seit dem ersten Mal gelesen. Für diesen Text suchte ich es wieder, um nachzuschauen, ob dort auch andere Gedanken ausser dem obigen zu finden sind, die mein Denken vor dem Schlaganfall beeinflusst haben:

  • Die wirksamste Art, sich seiner Verantwortung zu entziehen, ist zu sagen: „Ich habe Verpflichtungen.“
  • Du wirst Zeit deines Lebens von dem inneren, lernenden Wesen geführt, von dem verspielten geistigen Geschöpf, das dein wahres Selbst ist.
  • Deine einzige Verpflichtung im Leben ist, dir selbst treu zu bleiben. Einem anderen Menschen oder einer anderen Sache treu zu bleiben, das ist nicht nur unmöglich, es ist das Zeichen eines falschen Messias.
  • Es gibt kein Problem, das nicht auch ein Geschenk für dich in Händen trüge. Du suchst Probleme, weil du ihre Geschenke brauchst.
  • Was für die Raupe das Ende der Welt ist, nennt der Meister einen Schmetterling.

Als ich folgende Geschichte las, fühlte es sich wie ein Treffen mit einem alten Freund an:

Es gab einmal eine Ansiedlung von Geschöpfen am Grunde eines großen kristallklaren Flusses. Die Strömung des Flusses ging ruhig über alle hinweg – einerlei, ob jung oder alt, reich oder arm, gut oder böse: Die Strömung ging ihren eigenen Weg, denn sie kannte nur ihr eigenes kristallklares Selbst. Jedes Geschöpf klammerte sich in der ihm eigenen Weise fest an die Zweige und Steine im Flussbett, denn ihre Art zu leben bedeutete Sichfesthalten; von Geburt an hatte man ihnen beigebracht, der Strömung zu widerstehen.
Aber unter ihnen gab es ein Geschöpf, das eines Tages sagte: „Ich habe es satt, mich immer festzuhalten! Ich kann es zwar nicht mit meinen Augen sehen, aber ich vertraue trotzdem darauf, dass die Strömung weiß, wohin es geht. Ich werde loslassen, damit mich das Wasser forttragen kann, wohin es will; denn wenn ich mich weiter festhalte, werde ich vor Langeweile sterben.“
Die anderen Geschöpfe lachten und sagten: „Du Narr! Lass nur los, und du wirst sehen, wie die Strömung, die du so sehr verehrst, dich packen und auf die Felsen schmettern wird, und du wirst schneller daran sterben als vor Langeweile!“ Aber dieses eine Geschöpf hörte nicht auf sie: Es holte einmal tief Luft und ließ los und wurde sofort herumgewirbelt und von der Strömung gegen die Felsen geschmettert. Aber noch rechtzeitig trug die Strömung das Geschöpf, das sich nicht mehr festhalten wollte, vom Grunde des Flusses frei, und es wurde nicht länger zerschunden oder verletzt.
Und all die Geschöpfe, die sich stromabwärts angesiedelt hatten und die es nicht kannten, riefen: „Sehet, ein Wunder! Geschöpf wie wir, und doch fliegt es! Seht, der Messias ist gekommen, uns alle zu erlösen!“
Und der, den die Strömung getragen hatte, sagte: „Ich bin nicht mehr Messias als ihr auch. Der Fluss tut nichts lieber, als uns zu befreien, wenn wir nur den Mut aufbringen loszulassen. Unsere wahre Aufgabe ist diese Reise, dieses Abenteuer.“


Während der letzten Wochen habe ich ein Lied von Abba gehört: I’ve been waiting for you (Ich habe auf dich gewartet). Ab und zu durchschaue ich meine eigenen Bilder auf meinem Computer und höre Melodien der reinsten Liebe, wenn ich meine eigenen Bilder anschaue. Ich frage mich, warum ich mir meine eigenen Bilder anschauen muss. Gewöhnlich schauen Menschen sich die Bilder ihrer Geliebten an, wenn sie diese Art von Musik hören. Meine Frage erweckt einen Gedanken in meinem Kopf: Menschen sind auf der Suche nach der reinen Liebe in dieser Welt, aber um sie zu finden, müssen sie sie erst in ihrem eigenen Herzen finden.

Mein Herz singt zu mir selbst. Und mein Ego verschmilzt mit seiner Melodie.

Abba: I’ve Been Waiting for You