Ein Jahr nach dem Schlaganfall an Silvester 1979 fühlte ich mich wie neugeboren.
Mein vergangenes Leben war vorbei und nichts Neues war vorhanden, um es zu ersetzen. Ich fühlte, dass ich eine endlose Menge an weißem Papier vor mir hatte, auf dem ich mein Leben erschaffen könnte, genau so wie ich das von meiner neuen Startposition wollte und ich hatte alle Zeit der Welt, in der ich dies machen konnte.
Dieser Gedanke brachte mich in einen sehr leichten Gemütszustand und ich fühlte mich um viele Jahre jünger. Ich hatte keine Lasten mehr zu tragen. Mein Kopf war gefüllt mit neuen Gedanken und ich hatte den brennenden Wunsch, ihre Nachhaltigkeit zu testen.
Zu jener Zeit lebte ich in einem Wohnheim für junge Menschen. Die Menschen um mich herum waren recht witzige Typen, aber größtenteils waren wir uns fremd. Wir hatten keine echte Verbindungen zueinander. Wir waren nicht fähig solche Verbindungen zu sehen.
Die Menschen um mich herum waren fremd und gefühlsmäßig unerreichbar für mich. Wie auch immer – ich hatte den brennenden Wunsch einen Freund zu finden, mit dem ich meine neuen Erkenntnisse diskutieren konnte. Nachdem ich mich einige Zeit in diesem Gedankenkarussell befand, begriff ich, dass ich solch einen Freund hatte.
Vor meinem kulturellen Austausch in Deutschland verbrachte ich zwei Jahre vorher einen Monat in einem deutschen Dorf, um meine mündlichen Sprachkenntnisse zu verbessern. Auf einer Party lernte ich einen jungen Mann – André – kennen, mit dem ich gemeinsam die lokalen Lebensgewohnheiten entdeckte.
Er hatte eben seine Schulzeit beendet, und wir feierten sein Abitur. Wir machten Ausflüge in die nähere Umgebung und, da ich das Tanzen liebte, gingen wir auch ins Kino.
Nichts Weltbewegendes passierte zwischen uns. Ich fühlte nur, dass er ehrlich war und nicht versuchte, irgendeine Rolle zu spielen. So war ich fähig so zu sein, wie ich war, als ich bei ihm war und er schien nichts anderes von mir zu erwarten.
Diese entspannte Verbindung zwischen uns schätzte mein Kopf jetzt als einen unvorhersehbaren Wert ein. Ich erinnerte mich an jeden einzelnen Moment mit André. Ich erlebte die letzte Nacht, die wir gemeinsam verbrachten, immer und immer wieder: jene einzige Nacht brachte er mich in sein Zuhause. Wir trafen seine Mutter im Flur und begrüßten sie hastig, aber schon in diesem flüchtigen Moment fühlte ich die warme Verbindung, die in seinem Zuhause herrschte. André und ich saßen nebeneinander auf dem Fußboden in seinem Zimmer, tranken Bier und besprachen alltägliche Dinge, aber alles was er sagte, klang so wichtig.
Nachdem ich nach Hause zurückgekehrt war, schrieben wir uns Briefe. Unsere Korrespondenz kam zum Erliegen für einige Zeit, als ich im Krankenhaus lag, aber sobald meine Beine mich wieder etwas tragen konnten, bekam ich einen Rollstuhl und ein kleines elektronisches Gerät, das ähnlich einer sehr kleinen Schreibmaschine war. Während man schrieb, kam auf einer Seite ein dünner Papierstreifen mit dem Text heraus.
So schrieb ich gleich einen Brief an André, erzählte ihm von der Kehrtwende in meinem Leben und gab das Band in ein Kuvert. Ich bekam bald eine Antwort von ihm. Er hatte sich schon gewundert, warum unsere Verbindung unterbrochen wurde, und war froh, dass wir uns wieder schreiben konnten.
Als ich verstand, was für einen Freund ich in André hatte, begann ich über alles mit ihm zu schreiben. Ich las seine alten Briefe, neue Erinnerungen kamen ständig in meinen Gedanken vor, und ich fühlte ihren erfrischenden Geist in meinem Herzen. Ich bemerkte, dass sich meine Gefühle in geschriebener Form in einer Art und Weise verbreiteten, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Meine Gedanken entsprangen direkt aus meinem Herzen und André beantwortete sie in seiner eigenen Art und Weise. Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich, dass ich eine echte Verbindung zu einer anderen Person hatte. Wir schrieben über einfach alles: von Geschlechtsbeziehungen über Placeboeffekt zu Einsteins Relativitätstheorie.
Ich habe mir nicht eingebildet, dass ich mehr über diese Dinge als vorher verstehen würde: meine Kenntnisse der deutschen Sprache stellten ohnehin eine Barriere dar. Nur das Gefühl, dass wir jede Art von Thema behandeln konnten, war revolutionär.
Das Gefühl, dass ich eine engere Beziehung zu einer Person schaffen konnte, die etwa tausend Kilometer von mir entfernt lebte, als zu meinem nächsten Nachbar, war wesentlich daran beteiligt mein Selbstbewusstsein aufzubauen.
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