Der finnische Premierminister Jyrki Katainen behandelte in seiner Rede am 14.08.2013 in der Eröffnung des Ministertreffens der konservativen Sammlungspartei die Faktoren der sozialen und gesellschaftlichen Änderungen. Er erläutert das Thema aus der Perspektive der finnischen Gesellschaft, aber die Änderungen sind global zu sehen.
Die zentrale Kraft dieser Veränderung besteht in einer Änderung des Wertesystems des Menschen. Individuelle Bürger werden immer mehr zu Autoritäten in der Gesellschaft. Die Erreichung eines gemeinsamen Konsens ist in vielerlei Hinsicht immer schwieriger geworden. Es werden kaum mehr Dinge realisiert, die von oben angewiesen oder befohlen werden. Die Menschen sind nicht mehr bereit, ihr Leben nach den traditionellen, autoritären Leitlinien auszurichten. Sie akzeptieren nicht mehr das Vorgängermodell, das sie bevormundet hat und stimmen nicht mehr mit der politischen Elite und mit den traditionellen Medien überein, die durch politische Korrektheit gekennzeichnet sind.
Intuitive Visionen gewinnen an Autorität. Zuvor war die Rolle der Medien in der Gesellschaft für die Meinungsbildung von Bedeutung. Die Menschen von heute wollen selbst das Wissen suchen, das sie brauchen. Die politischen Rahmenbedingungen in der Zeit der sozialen Medien und der elektronischen Kommunikation haben sich wesentlich verändert. Wissen ist leicht zu bekommen, es ist leicht zu teilen, und es ist leicht, Stellung zu nehmen.
[blockquote align=“left“]Bestenfalls stärkt Individualisierung der Gesellschaft die Demokratie.[/blockquote]
Einfluss und Macht auszuüben, wird so einfach wie nie zuvor. Die politische und wirtschaftliche Elite entscheidet nicht mehr allein, was passiert. Einzelpersonen, kleine Organisationen und andere Akteure können erheblich an der Entwicklung der Gesellschaft beitragen, wenn sie gut in der Lage sind, ihre eigenen Blickwinkel zu begründen. „Bestenfalls stärkt dies die Zivilgesellschaft“, sagt Katainen.
Untersuchungen zufolge vertrauen nur 9% der Menschen in Finnland den politischen Entscheidungsträgern. Weltweit befindet sich diese Zahl sicherlich in der gleichen Größenordnung.
In anderen Worten, neun von zehn Bürger haben kein Vertrauen in Menschen, die Entscheidungen für sie treffen. Diese Situation kann man nach Meinung von Katainen nicht mit Achselzucken ignorieren und sagen, dass die Machthaber immer im Kreuzfeuer der Kritik bleiben. Kritik und Vertrauen sind zwei verschiedene Dinge.
In dieser Situation wird die Stärkung des Vertrauens bezüglich Entscheidungen und Zukunft betont. Deshalb muss die Stärkung des Vertrauens ein zentrales Ziel der politischen Entscheidungen sein. „Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der ein offener Dialog möglich ist, damit die Bürger sich trauen, sich selbst aufs Spiel zu setzen, durch Trial and Error lernen, scheitern können ohne totale Verdammung, und dann gemeinsam weitergehen“, sagt Katainen. „In meinem Denken bedeutet Führerschaft Ermutigung, ein günstiges Klima für Reformen zu schaffen und Menschen dazu zu bringen, sich zu beteiligen, ihre eigene Zukunft zu erschaffen“, fährt er fort. Die politischen Entscheidungsträger müssen den Staatsbürgern vertrauen, wenn sie das Vertrauen der Staatsbürger gewinnen wollen.
Katainen ist der Ansicht, dass in der Individualisierung der Gesellschaft viel positive Energie steckt. In der Welt der Individuen wird Kreativität gefördert. Echte Demokratie wird verstärkt, wenn Menschen aus eigener Initiative handeln und ihre eigenen Entscheidungen treffen, ohne jemanden um Erlaubnis dafür zu bitten, und ohne es bitten zu müssen. Nach Ansicht des Premierministers ist dies eine große Veränderung, dessen volles Potenzial wir jedoch noch nicht nutzen können.
Ich las vor einiger Zeit in einem Diskussionsforum, dass Finnland in der westlichen Welt der letzte kommunistische Staat ist. Was soll schlecht im Kommunismus sein, wenn es Demokratie der Bürger fördert, fragte ich. Es ist keine pluralistische Demokratie, antwortete jemand.
Aber wenn die führende Elite die Bürger als bevormundete Untergebene der Verwaltung sieht, ist es egal, ob die Gesellschaft als kommunistisch oder demokratisch bezeichnet wird. Eine wirklich pluralistische Demokratie ist sie nicht.
Manchmal scheint es, dass die einzige Partei, die in den westlichen Demokratien demokratische Rechte hat, das Geld ist. Dem Geld ist jedoch das Konzept der Demokratie fremd. Es kennt nur das Recht des Stärkeren, das ist in der Tat das Gesetz des Dschungels. Westliche Demokratien sind Demokratien der Lobbyisten. Diejenige, die am lautesten schreien, sind erfolgreich.
Finnland ist kein kommunistischer Staat. Die Wirtschaftswissenschaft kennt unser System als eine soziale Marktwirtschaft. Das System wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland als ein soziales und wirtschaftliches Modell entwickelt. Es begann mit der Beobachtung, dass die Wirtschaft keinen Mechanismus kennt, der die grundlegenden Menschenrechte sichern würde, so ist es die Aufgabe des Staates, die Funktionen der Wirtschaft zu regulieren. Dieses Ziel ist auch im Vertrag von Lissabon der Europäischen Union verankert.
Wir leben in der Hoffnung, dass die politische Elite beginnt, die Richterregel von Olaus Petri umzusetzen:
[framed_box rounded=“true“ align=“center“]Das Wohlergehen des gemeinen Volkes ist das oberste Gesetz, und deshalb ist alles, was als nützlich für das gemeine Volk erachtet wird, Gesetz, auch wenn die Worte eines schriftlichen Gesetzes, anders zu verstehen sind.[/framed_box]
Ich denke, dass die Menschen es sich nicht leisten können, um dieses Prinzip zu feilschen. Die Wissenschaft hat deutlich genug gezeigt, dass Menschen in einem und dem gleichen Energiefeld handeln. Weil jeder von uns bei der Schaffung einer gemeinsamen Realität einen Einfluss hat, unabhängig davon, ob wir es bewusst oder unbewusst tun, ob wir eine führende Position haben oder nicht, sollten wir uns bewusst für die Verwirklichung unserer langfristigen, gemeinsamen Ziele bemühen.
Es wird gesagt, dass das Niveau einer zivilisierten Gesellschaft sich auf eine Weise zeigt, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Die Gesellschaft kann zivilisiert sein, ohne kultiviert zu sein. Ein Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft ist das Entwicklungsniveau der Technologie. Die Kultiviertheit, Edelmut, das geistige Niveau einer Gesellschaft zeigt sich in den sozialen, zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie wird im Herzen gebildet. Ihr höchstes Kriterium ist das Gewissen; wie wir das universelle Bewusstsein zulassen, uns zu führen. Kultiviertheit hat nichts mit dem Snobismus, kulturellen Bewusstsein oder gekünstelte Vornehmtuerei der Oberschicht zu tun.
Das Gewissen, das der angeborene, innere Navigator eines jeden Individuums ist, braucht keine äußeren Autoritäten, um richtig funktionieren zu können. Es funktioniert natürlicherweise in jedem Menschen nach den gleichen Grundsätzen, weil es ein einheitliches und gleiches Bewusstsein zwischen den Menschen ist, auch wenn die Individuen unterschiedlich sind.
Das Niveau der Kultiviertheit einer Gesellschaft hat auch eine Einwirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft. Deswegen sollte sie in Betracht gezogen werden bei der Messung der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit.
Politische Kuhhandel, alte Seilschaften und jegliche Formen der Manipulation und Verwässerung der gemeinsamen Ziele auf Kosten des Gemeinwohls zur Förderung der eigenen kurzfristigen Interessen, sollten in einer Demokratie strafbar sein, wie auch direkte Bestechung. Diese verdeckten Praktiken hinter den Kulissen legen das Fundament für die strukturelle Korruption in der Demokratie.
Als gesellschaftlich schädlichste Vereinbarung gilt in Finnland der Ende der 1960er Jahre geschlossene politische Kuhhandel, infolgedessen Schwedisch als Pflichtsprache in den Schulen eingeführt wurde. Seitdem werden finnischsprachige Finnen verpflichtet, einer kleinen finnlandschwedischen Minderheit (soziale) Dienstleistungen zu sichern; dies verhindert in der Gesellschaft eine Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen in bestmöglicher Weise. 20 finnischsprachige Finnen müssen Schwedisch als Fremdsprache in der Schule lernen (als zweite Nationalsprache), damit einem Finnlandschweden in seiner Muttersprache die Dienstleistungen der Gesellschaft gesichert sind.
Wie ist es möglich, dass man gegen diese Sache nichts tun kann, obwohl allen bekannt ist, dass Schwedisch als Pflichtsprache durch einen politischen Kuhhandel entgegen den Empfehlungen der Experten in die Schulen kam?
Im Allgemeinen, wenn ein Betrug aufgedeckt ist, oder ein Vertrag gegen die allgemein anerkannten Regeln geschlossen worden ist, wird der Vertrag für nichtig erklärt und die Täter werden zur Verantwortung für ihr Handeln gezogen.
Es wird gesagt, dass die finnlandschwedische Minderheit 80% aller Vermögenswerte des Landes besitzt. Es heißt, dass die Elite der fünfprozentigen Minderheit 80% besitzt. Dieses Verhältnis ist genauso verdreht wie das globale Verhältnis, wo ein Prozent der Weltbevölkerung 80% des Reichtums der Welt kontrolliert.
Damit die Stellung der Minderheit weiter verbessert wird, liegt der größte Teil dieses Geldes in Stiftungen, und somit wird keine Steuer darauf gezahlt.
Wie ist das in einem Land möglich, das sich selbst eine Demokratie nennt?
Könnte dies etwas mit der Tatsache zu tun haben, dass die Lobby-Partei der schwedischsprachigen Minderheit, deren Unterstützung im ganzen Land sich bei 4 bis 5% befindet, und die sich hauptsächlich mit der zweiten Nationalsprache befasst, seit fast 40 Jahren (seit 1975) 2-6 Ministerposten in der Regierung hat?
Die Rede von Jyrki Katainen lässt jedoch hoffen, dass die Zeit der politischen Kuhhandel vorbei ist, und dass die Entscheidungsträger beginnen, nach den Richterregeln von Olaus Petri zu handeln.
Es bleibt abzuwarten, wie treu Katainen seine politische Linie fährt und wie aufrichtig er seine Ziele realisieren wird. Sicher ist aber, wenn er mit seiner Politik konkrete Resultate erzielt, wird er in die Geschichte als ein Premierminister eingehen, der eine neue politische Kultur eingeleitet hat.
Siehe auch:
Jyrki Katainen: Suomi on keskellä isoja muutosvoimia
Soziale Marktwirtschaft
Soziale Marktwirtschaft in der Europäischen Union
Olaus Petri
Rules for Judges