Falsche Macht
Vor zehn Jahren verbrachte ich ein Jahr in einem Rehazentrum in China. Zur gleichen Zeit als ich mit der Rehabilitation anfing, war dort auch ein Mann, der vom Hals abwärts gelähmt war, und den seine Frau im Rollstuhl schob. Das Sprechen schien die einzige Sache zu sein, die er konnte.
Nach einigen Monaten der Rehabilitation verfolgte ich nebenbei als fünf Therapeuten ihn auf einer Therapieliege hielten, so dass er auf seinen Knien stehen konnte. Man konnte es in seinem Gesicht sehen, dass diese Übung äußerst anstrengend war. Ich sah ihn mehrmals täglich, wenn er Bewegungsübungen mit seinen Physio- und Ergotherapeuten durchführte.
Die Räume für die Rehabilitation konnten wir täglich von acht Uhr morgens bis fünf am Abend benutzen. Alle Rehabilitanten hatten ihre eigenen Assistenten, die ihnen halfen, ihre Programme durchzuführen. Wir hatten kaum eigentliche Trainingsgeräte zur Verfügung, aber nach einigen Monaten Vollzeit-Training, konnte ich selbstständig mit einem Rollator gehen.
Als ich das Rehazentrum verließ, stand der Mann, der vor zehn Monaten völlig gelähmt im Rollstuhl saß, ohne Unterstützung neben der Therapieliege auf seinen eigenen Beinen.
Also kann ein völlig gelähmter Mensch rehabilitiert werden. In unserem System werden diese Menschen in den Rollstuhl gesetzt und in Rente geschickt. Die Gesellschaft zahlt ihnen Jahr für Jahr Zehntausende Euro an Rente, obwohl ihre Leistungsfähigkeit möglicherweise wieder hergestellt werden könnte. Wenn dies kein Verbrechen an der Menschheit ist, was dann?
Ich musste an diese Sache wieder denken, weil ich für mich ein fahrbares Stehgerät anschaffen will, das so robust sein soll, dass man darauf sogar tanzen kann. Ich habe eine fahrbare Stehhilfe auf dem Markt gefunden, die so komplex aufgebaut ist und so viele Einzelteile hat, dass sie nicht für meine Bedürfnisse geeignet ist. Deswegen habe ich gedacht, dass ich von einem robusten, manuellen Stehtrainer ein Bewegungsmittel für mich machen lassen kann. Man müsste lediglich eine elektrische Fahreinheit in den Stehtrainer einbauen.
Als ich an ein Orthopädie- und Sanitätshaus über diese Sache der Stehtrainer schrieb, bekam ich die Antwort, dass eine elektronische Ausstattung eines solchen Gerätes generell „zu schwierig“ sei, und dass sie auch keinerlei Erfahrung diesbezüglich haben. Der Verkäufer rechtfertigt auch seinen Standpunkt mit Haftungsfragen. Für mein Ohr klingt das ganz einfach nach: Die Firma will nicht dafür haften, dass ich ein Fahrzeug bekomme, das auf meine Bedürfnisse angepasst ist.
Heutzutage werden Prothesen hergestellt, die der Benutzer nur mit seinen Gedanken steuern kann. Mit diesem Hintergrundwissen erscheint die Aussage schlampig, dass die Installierung eines elektrischen Bedienungssystems zu schwierig sei.
Auch in diesem Fall geht es um nichts anderes als Geld, wenn der eigene Gewinn wichtiger wird, als kreatives Schaffen. Diese Denkweise ist für das Funktionieren der Gesellschaft äußerst schädlich, weil sie die Grundlage einer Rehabilitation wegzieht.
Materialistischer Wettbewerb
Als ich vor zehn Jahren nach einem Jahr Rehabilitation aus China nach Hause zurückkehrte, war mein körperlicher Zustand deutlich verbessert. Zuerst musste ich für die Behörden einen neuen Rehabilitationsplan machen und stellte einen Antrag für eine Rehabilitation. Ein paar Monate vergingen, und als die Sache nicht voran schritt, fragte ich die verantwortlichen Parteien, wo der Fehler ist. Ich fand heraus, dass mein Antrag aufgrund Gedankenlosigkeit eines Mitarbeiters in einem Regal verstaubte.
Dies hatte zur Folge, dass fast ein Jahr verging, bis meine Rehabilitation wieder anfing. Meine erreichten Ergebnisse in China waren mit den bürokratischen Anträgen verwischt und meine Rehabilitation begann bei Null. Sowas passierte nicht zum ersten Mal.
Ich habe das Gefühl, dass ich meine Beweglichkeit während der vergangenen 35 Jahren schon längst wiedererlangt hätte, wenn ich die benötigten Ressourcen zur Verfügung gehabt hätte, und ich frei den Weg meines inneren Navigator folgen hätte können.
Bei der Rehabilitation sollte es keinen einzigen Bürokraten geben, der der eigenen Verantwortung aus dem Weg geht, und der meint, dass der Kundendienst zu schwierig ist, wenn man nach individuellen Lösungen suchen sollte, um die Leistungsfähigkeit der Rehabilitanten zu fördern. Tolle Trainingsräumlichkeiten, Trainingsgeräte und unzählige Therapieformen haben keinerlei Nutzen, wenn Regeln und Normen der westlichen Gesellschaften, vor allem auch die Macht des Geldes, die erreichten Ergebnisse zunichte machen.
Die Weltwirtschaftskrise entstand nicht durch Geldmangel. Aber dadurch, weil Geld von vornherein nicht die Währung ist, mit der alles geschieht. Dennoch wird es von den Menschen wie ein lebender Organismus behandelt und verehrt. In Bezug auf das Zusammenleben ist es ein enormer Schaden, dass es viele Menschen gibt, die die Vorstellung haben, dass Geld die Welt regiert.
Im Finnischen gibt es die Redewendung „mit dem Hintern voran auf einen Baum klettern“, die man dann benutzt, wenn jemand versucht etwas zu bekommen, ohne seinen gesunden Menschenverstand zu verwenden: Wenn man z.B. Dinge in der falschen Reihenfolge macht oder es sich unnötig schwer macht. Die Menschen tun aber gerade das, mit dem Hintern voran auf einen Baum klettern, wenn sie der Materie erlauben, ihr Leben zu kontrollieren.
Geld ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herr. Weil wir der Materie erlaubt haben, uns zu beherrschen, sieht das Leben auf der Erde oft aus wie die Sisyphusarbeit.
Post Scriptum
Dieser Text entstand, weil ich mich von meinem Frust befreien musste, dass ich von den Entscheidungen anderer so abhängig bin. Jetzt bin ich darüber dankbar, dass die Orthopädie-Firma nicht sofort begann, meine Ideen zu verwirklichen. Ich glaube, dass Gott es gut mit uns meint, auch wenn das Leben sich oft wie der Kampf des Sisyphos an fühlt.